Video im Kölnischer Kunstverein
Koen Theys


Zur Einführung

Koen Theys, 1963 im belgischen Uccle geboren, lebt und arbeitet heute in Brüssel. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er am Brüsseler St.Lukas-Institut und an der Kunstakademie in Gent. Hier studierte er vor allem Bildhauerei, und es ist das skulpturaIe Interesse, das ihn bereits früh zum Medium Video führte. Nachdem er mit seinem Band "Diana" ersten Erfolg verbuchen konnte, ist er besonders durch die mit seinem Zwillingsbruder Frank, Philosoph und Filmemacher, erarbeiteten Videofassungen von Teilen des Ring der Nibelungen von Richard Wagner bekannt geworden. Weniger bekannt ist allerdings, daß er seine bildhauerische Arbeit nie eingestellt, sie in den letzten Jahren sogar intensiviert hat.

Sein künstlerisches Interesse galt dabei von Beginn an nicht immanenten Fragen der Kunst, sondern allgemeinen kulturellen Inhalten. "Im Augenblick beschäftige ich mich mit drei Dingen: der Erotik, der Religien und der Gewalt. Um dies in Bilder zu übertragen, bediene ich mich aller verfügbaren Mittel und besonders der Kamera. Als Kinomensch habe ich immer das Gefühl, mit einem phallischen Symbol herumzulaufen, bereit, sich auf alles zu entladen, was ich aufnehme", sagte er 1984 zo seinem Band “Diana” und kommt zu dem konsequenten Schluß: "Ich habe da ein ziemlich kitschiges Melodram gemacht, um am Ende alles das zo relativieren, was die Gefühle berührt, indem ich es pointiert habe.

In den frühen Aktionen und Videobändern beschäftigt sich Theys vornehmlich mit Formen der Gewalt, die seine eigene Innenwelt als exemplarische betreffen. In “Crime 01” etwa testet er, bis zu welchem Grad der Brutalität er selbst fähig ist; in "Sleepless Night" wird dann seelische Qual das Thema, das in einen als Ritual angedeuteten Rahmen gestellt ist. In "Diana" findet dieses Thema seinen ersten allegorischen Abschluß, und in den folgenden Jahren rücken Fragen sozialer und institutioneller Gewalt in den Vordergrund. Hier steht das Fernsehen als Infrastruktur im Zentrum des Interesses. So sind die Wagner-Adaptationen über ihre innere thematische Durchbildung hinaus in metasprachlicher Hinsicht eine politische Stellungnahme, die im Thema des Ring wieder erscheint. 1989 sagt Theys: "Am Ende des Ring stellt man fest, daß der Materialismus ihn mit sich fort gerissen hat. Das Geld hat das Heilige ausgesaugt und zerstört. Wie im Fernsehen verlangen die kommerziellen Spielregeln, daß die Peripherie das Zentrum einnimmt ... plötzlich verflüchtigt sich die poetische Energie des Zentrums, der Bühne, und der Zuschauer sitzt sich selbst gegenüber. Auch dies ist der Verlust des Rheingoldes ... “, nämlich der Verlust mythischen Wissens. Es ist gerade dieser Verlust, der die institutionelle Gewalt des Fernsehens ausmacht: “Im Fernsehen kann man Opern, Filme, Kunstsendungen sehen ... Es ist ein Medium, das alle Spektakel verschluckt, das alles zeigt, das aber selbst nichts ist. Das Fernsehen redet von der Kultur, aber es nimmt nicht au ihr teil.”

Über ihre gattungsspezifische Neuerung hinaus müssen die Arbeiten von Theys auch als ein Versuch gelesen werden, eine alternative TV-Ästhetik zu entwickeln.

Crime 01

Das Band ist die Dokumentation einer Aktion, die ohne Publikum am 15.3.1983 in einem Keller in Gent stattfand.

Auf einem niedrigen Holzpodest liegt ein toter Schäferhund, der von Koen Theys, der eine Wolfsmaske aus Plastik vor dem Gesicht trägt, mit einer Beilschneide auf primitive Weise zerlegt wird. An der Wand liegen die Teile eines bereits vorher zerlegten zweiten Hundes. Die von Paesmans geführte Kamera ist unruhig, zoomt ständig auf das Geschehen und zurück.

In einer zweiten Einstellung erscheint nach 10 Minuten ein Tableau Vivant: ein etwa 6 Monate altes Baby sitzt in einer Wippe auf einem mit weißem Tuch geschmückten Tisch. Es wird van den Köpfen zweier Schäferhunde und einem Palmwedel flankiert. Die Kamera bleibt auf das Bild fixiert und dokumentiert die schwankenden Stimmungen des Babies.

Sleepness Night

Die "Schlaflose Nacht" wird eingangs durch ein eingeblendetes Datum identifiziert, das sich wohl auf die Aktion mit einem brennenden Holzkreuz bezieht, dessen Farbaufnahme das ganze Band hindurch das Bild bestimmt: 4.5.1983.

Rechts unten, kleiner als ein Viertel der Bildfläche, ist ein Videofenster eingerichtet, das s/w-Aufnahmen van einem jungen Mann zeigt, der während der Nacht aufwacht und anschließend nicht wieder einschlafen kann. Während die Aufnahme mit dem Holzkreuz unverändert steht, ist das Geschehen im Videofenster durch ständige Zooms und Schnitte fragmentarisiert und dynamisiert.

Als Sound hört man wiederkehrendes Windrauschen in einem einfachen Mikrofon, einmal auch Hundegebell.

Diana

Das Band war der Durchbruch für Koen Theys auf nationaler und internationaler Ebene. Erst dieser Erfolg ermöglichte die organisatorisch und finanziell weit aufwendigeren Produktionen von "Lied van mijn Land" in den folgenden Jahren.

Thema des Bandes ist die römische Göttin Diana, die in der antiken Mythologie eine typische Doppelfunktion erfüllte: sie war Göttin der Jagd ebenso wie der Fruchtbarkeit.

Als Jagdgöttin ist sie heute weit bekannter, und so entwickelt sich das Band von diesem Aspekt her, symbolisiert durch die nackte junge Frau mit Pfeil und Bogen, bis zum Ende, wo sie in einer Toga stehend, den Becher der Fruchtbarkeit auf die Erde gießt und schließlich selbst im Wasser versinkt.

Dazwischen sind Aufnahmen zunächst einer Jagdgesellschaft zu sehen, mit verschiedenen Szenen vor und nach dem Halali. Ergänzend im zweiten Teil Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg. Während Teil 1 des Bandes die Jagd als paradiesische Situation schildert, im Einklang mit der Natur, wird sie im zweiten Teil dämonisch aufgeladen und auf den Geschlechterkonflikt einerseits und auf die Katastrophe des Krieges andererseits zugespitzt. Das mythische Geschehen spielt sich dabei meist in türkis eingefärbten Bildern ab, das weltliche in erdbraunen bzw. s/w-Aufnahmen.

Die Tonebene ist van Beginn an Träger der außerordentlichen Emphase des Bandes: die immer wiederkehrenden Gebete an die Göttin Diana, von Einzelstimmen wie auch von Gruppen in flämischer Sprache vorgetragen, werden von Beginn an von Orgelklängen mit von gezogenen Registern ergänzt. Dieser monumetalen Andacht entspricht auch die Gemessenheit des Geschehens in starker Slow-Motion, die sich bis zur Einzelbildschaltung verlangsamt. Durch Überblendung und die Bildqualilät des Films entsteht z.T. eine beeindruckende Poesie trotz aller Dramatik.

Das Projekt Lied van mijn Land

"Das Video ist eine Interpretation des Ring der Nibelungen und des Parsifal von Richard Wagner ... Wir haben versucht, unsere Bilder auf der musikalischen Struktur der Opern aufzubauen ... Unser Konzept Iäuft darauf hinaus, daß sich das Geschehen auf der Ebene des Bildschirms abspielt.

Bis heute beruhen alle Theorien über die ideale Verfilmung der Tetralogie letztlich auf theatergerechter Darstellung. Doch hat Wagner selbst wiederholt seine Unzufriedenheit damit formuliert. Er träumte von der Erfindung eines unsichtbaren Theaters, später auch vom unsichtbaren Orchester ... Das Publikum konnte sich in seiner Musik verlieren, und genau dies sollte auch das Theater bewirken; doch erzielte dessen statischer Aufbau den gegenteiligen Effekt. Im Parsifal hat Wagner selbst versucht, dem abzuhelfen, und es liegt nahe, eine Parallele zwischen seiner Lösung und Video zu ziehen …

Ich glaube, unsere Annäherung an die Tetralogie muß man vom Parsifal aus betrachten. Ein Medium, das sich direkt an das Publikum wendet, erlaubt es diesem nicht, in ihm zu versinken, besonders wenn das Mediun auf eine Oberfläche reduziert ist. Auch ist es nicht möglich, den Blick auf einem 30 x40 cm großen Bild umherirren zu lassen." (Frank Theys, 1986)

"In der Oper sind die Personen, die den Wunsch nach Reichtum verkörpern, und die für den Verlust der Götter verantwortlich sind, der Zwerg Alberich und Wotan, der Herr der Götter. Alberich stiehlt das Rheingold, das für die Rheintöchter, die Walküren, das göttIiche Mysterium symbolisiert. Wotan entwendet es Alberich, doch anstatt es den Rheintöchtern zurückzugeben, die seine Reinheit garantierten, gibt er es Riesen. Alle die seitdem versuchen, das Gold oder seine Mächte zu gewinnen, Wotans Sohn Siegmund ader sein Enkel Siegfried, werden vom Unglück verfolgt und sterben.

Diese Geschichte kann man mit unserer westlichen Zivilisation vergleichen. Der erste Teil der Oper erinnert an die Erfindung des Geldes. Die Griechen haben das Bild ihrer Götter allgemein verbreitet. Sie haben deren Bildnisse auf ihren Geldstücken abgebildet. Plötzlich sind diese Götter, die nur in den Tempeln zugänglich waren, Gegenstand allgemeiner Zirkulation. Sie haben sich tatsächlich verströmt durch das erste Massenmedium, das Geld. Etliche Jahrzehnte später entstand die Philosophie als Antwort auf dieses Verschwinden der Götter ...

Der zweite Teil des Ring, Die Walküren, stellt das Mittelalter und den Konflikt zwischen Gott und den Menschen dar: ist der Mensch frei oder vorbestimmt? Das ist die Frage, die die Auseinandersetzung zwischen Fricka und Wotan über ihren Sohn Siegmund prägt.

Der dritte Teil, Siegfried, entspricht der Neuzeit: Siegfried, Sohn Siegmunds, ist der Prototyp jenes Menschen, der davon träumt, eine neue, vom Einfluß der Götter befreite Welt zu schaffen. Aber im letzten Teil des Ring, der Götterdämmerung, versinkt Siegfried in Dekadenz und stirbt." (Frank Theys, 1989)

Lied van mijn Land 1 - Het Rijngoud

Die gesamte Oper spieIt sich in einem elektronisch erzeugten Bühnenraum ab. Sämtliche Handlungen der Akteure worden im Chroma-Key-Verfahren aufgenommen, sodaß aoschließend Natur- und Innenraum-Aufnahmen den eigentlichen "theaterhaften" Umraum produzieren können. Auf diese Weise lösen die Theys-Brüder auch das Problem der unterschiedlichen Körpergrößen und physikalischen Zustände der handelnden Personen. Die Rheintöchter etwa gewinnen keine klar konturierte Gestalt. Zwerge und Riesen können in entsprechendem Maßstab zu den normalmenschlichen Dimensionen der Götter dargestellt werden.

Das Geschehen beginnt mit dem Erscheinen der Rheintöchter, die Alberich, dem Zwerg, von der wundersamen Kraft des Rheingoldes erzählen. Alberich stiehlt das Gold, und es entwickelt sich ein dramatisches Hin und Her, das nur durch eine List des Gottes Lore vorläufig beendet werden kann.

Alle Personen singen im Playback, die Akteure sind durchgehend Amateure. Wotan hat als Attribut einen kleinen weißen Sockel, Lore eine Stola, Alberich nach dem Raub eine kleine dreckige Decke. Die Riesen Fafner und Fasolt tragen aufwendige Perücken aus langen blanden Locken und cremefarbene Hosen.

Zahlreiche Anspielungen legen die Analogie zwischen dem Geschehen in der Oper und der Realität des Fernsehens nahe: etwa wenn Alberich die Arbeit der NibeIungen in einem Video-Kontrollraum überwacht, oder wenn er sich in eine Kröte vewandelt (was ihm letztlich zum Verhängnis wird), die eine Videokassette ist.

Lied van mijn Land 2 - De Walkure

Die im "Rheingold" noch offensichtIiche Faszination der Special Effects ist hier einem abgeklärteren Einsatz der Elektronik gewichen. Außerdem haben die Theys-Brüder hier das kompositorische Schema der Leitmotive, das sie der Musik Wagners entlehnt haben, und das für sie die Grondlage für die videografische Gestaltung der Oper bildet, wesentlich ausdifferenziert gegenüber dem ersten Teil. Der zur Verfügung stehende leistungsfähigere Maschinenpark leistet schließlich einen wesentlichen Beitrag zur Erzeugung eines technisch perfekten und zugleich visuell sich aus sich selbst generierenden Videobildes. Die Abstimmung der einzelnen Leitmotive zwischen Musik und Bild ist nun deutlich identifizierbar. Dadurch erhalten die Bildschirmbilder eine ausgesprochen poetische Qualität.

Das Geschehen beginnt mit einem kleinen Vorspann, der die zentrale Szene der Oper thematisiert: der Liebesakt von Siegmund und seiner Schwester Sieglinde, der Frau Hundings. Dessen Wohnung, mit von Jagdtrophäen tapezierten Wänden, ist ebenso elektronisch erzeugt wie bereits die Räume im "Rheingold". Nach dem Vorspann springt die Geschichte zurück zum Eintreffen Siegmunds in Hundings Haus, und das Geschehen entwickelt sich dann wie in der Oper Wagners fort. Die Attribute, die den elektronischen Raum schmücken, werden entsprechend der zunehmenden Grausamkeit des Geschehens immer dramatischer, auch moderner: Stacheldraht und Flugzeuge symbolisieren Krieg, begleitet von Blitzen.

Die handelnden Personen agieren auf der selben Ebene wie der eingesetzte Dekor. Sie sind Fragmente, Teilchen einer Kunstsprache, die Theys' eigentliches Interesse verdeutlicht: “Die Oper im Allgemeinen interessiert mich nicht. Ich nähere mich dieser Oper von der Bildhauerei her.”


Friedemann Malsch – KOLNISCHER KUNSTVEREIN - program
21.11.1990

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